Vize-Schweizer-Meister am Grand Raid BCVS
Die heutigen Schweizer Meisterschaften im Rahmen meines Lieblingsrennens waren seit anfangs Saison mein grosses Ziel. Bei jedem Rennen in dieser Saison, bei dem ich um einen Mittelfeldrang kämpfte, sparte ich das letzte Prozent auf für den heutigen Tag. Ich wusste, dass es die vielleicht letzte Chance für mich ist, nochmals ein Meistertrikot zu gewinnen. Denn, wenn ich eine Strecke auswählen dürfte für den Titelkampf, dann wäre es eins zu eins der Parcourrs zwischen Verbier und Grimentz. Die 120 Kilometer mit 5'000 Höhenmetern spielen mir gegen die jüngere Konkurrenz auf jeden Fall in die Karten. Heute zählte es und der Meistertitel war das ganz klare Ziel für mich! Trotz einer durchzogenen Saison schaffte ich es, grosse Zuversicht, Überzeugung und Freude für den heutigen Tag aufzubauen. Doch all das war kein Garant für den Erfolg, dessen war ich mir stets bewusst. Gegen Titelverteidiger Stutzmann, Fanger, South, Stauffer und die weitere Marathonelite sah ich meine Chance in der letzten Rennstunde. Das grösste Problem sah ich in Alexandre Balmer. Dem Westschweizer Multitalent (Strasse und MTB) und Cross-Country-Juniorenweltmeister von 2018 traute ich am meisten zu.
Dann ging es los. Einmal mehr war es mystische Ruhe und Respekt vor der heutigen Aufgabe, die den ersten Anstieg von Verbier auf den Croix de Coeur prägten. Ich nahm mir vor, heute aktiver zu fahren als in den letzten Rennen. Denn nur mit Abwarten und versuchen zu reagieren habe ich noch selten etwas gewonnen und daran erinnerte ich mich in den letzten Tagen wieder. So zeigte ich mich auch ab und zu an der Spitze. Ansonsten war es Topfavorit Seewald, der das Tempo vorgab. Nach dem Höhenweg schaffte ich es als Erster in die Singletrail-Abfahrt und dachte alles unter Kontrolle zu haben. Dann zwängte sich aber Balmer in einer breiteren Passage an mir vorbei und schliesslich konnten wir uns zu viert (Stutzmann und Fanger waren noch dabei) leicht absetzen. Doch dies wollte so früh im Rennen noch keiner ausnutzen und so füllte sich die Gruppe wieder auf.
Weiter ging es via Nendaz nach Veysonnaz. Dieser Abschnitt führt über gut rollende Kiesstrassen und ein stetes Auf und Ab. Auch heute galt es diesen Abschnitt einfach hinter sich zu bringen und das einzige Problem war, dass mir ausgerechnet im einzigen kurzen Singletrail die Flasche aus der Halterung flog. So fuhr ich eine knappe halbe Stunde ohne Getränk bis zur nächsten Verpflegung. Bereits hier versuchte Canyon mit Seewald/Stutzmann die Teamkarte einige Male auszuspielen. Und das ging so: Seewald zog das Tempo für einen Moment derart hoch, dass alle in den roten Bereich gehen mussten, um mitfahren zu können. Während ich das Spiel genau einmal mitmachte, realisierte ich schnell, dass nach kurzer Zeit das Spektakel wieder vorbei war und alles wieder zusammenkam. Stutzmann fuhr nie mit, nur der Konkurrenz sollte so etwas der Zahn gezogen werden. Das Ganze wiederholte sich bis zum Einstieg in den Mandelonanstieg noch einige Male und Balmer und South waren die Einzigen, die nicht merkten, was hier läuft.
Allerdings merkte ich auch ohne mitzuspielen, wie es mir immer zäher läuft und das gute Gefühl von den ersten zwei Stunden langsam abhanden kommt, ausgerechnet jetzt! Denn schon waren wir nun im Anstieg zum Mandelon und hier geht es normalerweise los. Tatsächlich trat nun bald der Titelverteidiger Stutzmann erstmals in Erscheinung und attackierte! Neben Seewald konnten nur Balmer und South mitfahren. Ich versuchte Ruhe zu bewahren und die Lücke mit einem konstanten Tempo wieder zu neutralisieren. Dies gelang mir schliesslich, doch inzwischen hatte sich Seewald bereits alleine abgesetzt und gewann zum vierten Mal in Serie. Dahinter neutralisierte sich das Rennen um den Meistertitel kurzzeitig und ich wusste, dass bald die nächsten Angriffe kommen werden, die ich dann wieder nicht parieren kann. Also setzte ich mich an die Spitze der Gruppe, um ein Tempo vorzugeben, welches ich bis auf den Gipfel durchziehen kann. Bis zur Alphütte funktionierte das, doch dann wurde trotzdem attackiert. So verpasste ich sowohl die erste Schweizer Gruppe mit Balmer und Stutzmann sowie auch die zweite mit South und Stauffer.
Uiuiui, jetzt hing ich ganz schön in den Seilen und kämpfte mich als fünfter Schweizer über den Höhenweg und in die Abfahrt nach Evolène. Auch in der Abfahrt verlor ich noch eher als dass ich aufholen konnte. In Evolène angekommen, sah es nun gar nicht gut aus. Der Rückstand auf die Medaillen war gross und ich fühlte mich nicht danach, als dass ich hier noch etwas korrigieren könnte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu versuchen, ruhig zu bleiben und weiterhin daran zu glauben. Ich verlor zwar den Fokus nie, aber weitere Zeit bis nach Eison. Hier wurden mir fünf Minuten auf den nächsten Schweizer vor mir gemeldet. Das Ding schien gelaufen zu sein!
Doch ich glaubte weiter daran und kam wieder besser in Schwung. Umgehend zu Beginn des Pas-de-Lona-Anstieges löste ich mich vom Italiener Ragnoli. Doch dann passierte 30 Minuten gar nichts. Ich fuhr zwar gut den Berg hoch, doch vor mir war keiner zu sehen, einfach keiner! Ich gab trotzdem nie auf und plötzlich kam die erste Belohnung. Ich sammelte Stauffer ein und war nun vierter Schweizer. Doch dies war eher Stauffers Krise als meiner Stärke zu verdanken, denn vor mir war weiterhin weit und breit keiner zu sehen. Dann ging es bei L'A Vieille in den Singletrail und 100 Höhenmeter später in die Laufpassage von 300 Höhenmetern bis auf den Pas de Lona. Und nun wurde mir nur noch eine Minute Rückstand zu Stutzmann gemeldet. Wow, es schien doch nochmals zumindest eine Medaille in Reichweite zu kommen. Ich kam besser die Laufpassage hoch und mein Abstand schmolz, bis ich schliesslich Stutzmann selber auch wahrnehmen konnte! Es sollte genau reichen, ihn am Gipfel zu stellen, doch bevor es soweit war, lief ich zuerst an South vorbei. Den habe ich gar nie wahrgenommen zwischen den Fahrern der kürzeren Strecke, doch nun war ich Dritter! Für Stutzmann reichte es nicht mehr ganz, doch nach dem halben Singletrail bis zum letzten Gegenanstieg war auch er gestellt. Ich fuhr direkt vorbei und wollte mich hier noch absetzen, um mit etwas Vorsprung in die Schlussabfahrt zu kommen. Gleichzeitig nahm ich nun auch den Spanier Bou wahr und nun lag sogar plötzlich das Gesamtpodium wieder in Griffnähe. Gewaltig, wie ich nun noch mehr mobilisieren konnte wie die anderen um mich herum! Stutzmann war schnell distanziert, doch Bou biss sich fest. So fuhren wir zu zweit auf Rang drei und vier in die Schlussabfahrt.
Seewald war längst auf der sicheren Seite und auch Balmer schien mit gemeldeten zwei Minuten Abstand (ich habe noch nicht geschaut, wie viel es wirklich war) nicht mehr einzuholen zu sein. Zumal er ein versierter Abfahrer ist und mit dem Fully unterwegs war. Also war es mein Plan, die Silbermedaille sicher ins Ziel bringen zu wollen. Im oberen Teil der Abfahrt auf der Kiesstrasse bis zum Stausee hielt ich noch voll rein. Hier ist das Defekt- und Sturtzrisiko klein und ich wollte nichts verschenken. Im unteren Teil dosierte ich dann. Mit einem Fehler hier noch Silber zu verschenken, nachdem ich mich sechs Stunden abgemüht habe, wäre ärgerlich gewesen. Bou hingegen donnerte ohne Rücksicht auf Verluste ins Tal, kam schadlos durch und wurde Dritter. Kurz darauf kam ich als Vierter und Vize-Schweizer-Meister ins Ziel. Balmer stand da, aber war noch völlig ausser Atem, alle stürzten sich auf ihn. Ich ahnte Schlimmes und tatsächlich fehlten mir am Schluss nur noch weniger als 50 Sekunden auf ihn. Ich ärgerte mich zuerst über die knappe Niederlage und versuchte die verlorene Zeit zu finden. Es gäbe zwischen Hérémence und Eison deutlich über 50 Sekunden, die da vergeben wurden! Doch es ging einfach nicht schneller in diesem Abschnitt.
Nun, nach dem Duschen, sehe ich es positiv. Ich wusste jederzeit, dass es schwierig wird. Meine Zuversicht vor dem Rennen konnten ausser mir wohl die Wenigsten verstehen und nicht viele haben mir heute überhaupt zugetraut, nochmals eine Medaille zu gewinnen. Nach dem zwischenzeitlich tiefen Loch zu Rennhälfte verlor ich nie den Glauben und konnte mich nochmals auffangen und zurückkämpfen. Auf das darf ich stolz sein und darum habe ich heute Silber gewonnen und nicht Gold verloren.
Zudem habe ich heute bewiesen, dass ich es doch noch kann, wenn das ganze Drumherum stimmt, was mich auch sehr freut.