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Grand Raid – dramatischer Krimi mit Happy End

Was für ein dramatischer Krimi war das denn gestern am Grand Raid! Einmal mehr könnte ich über die 125 Kilometer und über 5'000 Höhenmeter von Verbier über Grimentz ein dickes Buch schreiben. Nachfolgend belasse ich es aber bei einer ausführlichen Zusammenfassung des Geschehens auf der Rennstrecke, Bücher schreiben können andere bestimmt besser als ich.

Meine Liebe und Beziehung zu diesem legendären Rennen brauche ich wohl nicht noch ein weiteres Mal zu beschreiben. Trotzdem wurde dieser Geschichte am Freitag ein weiteres Kapitel angehängt, indem ich zum offiziellen Botschafter des Grand Raids benannt wurde. Eine Funktion, die ich sehr gerne angenommen habe und die mich mit grossem Stolz erfüllt.

Doch nach dem ganzen Trubel im Vorfeld und nachdem ich im Vorfeld auch überall als der grosse Favorit für die 27. Austragung der Mutter aller Marathon Rennen gehandelt wurde, wollte ich den Erwartungen auch gerecht werden. Also hiess es am Freitagabend den Schalter im Kopf umzulegen, ab sofort galt für mich die ganze Vergangenheit nicht mehr, es zählte nur noch der Samstagmorgen. Dies gelang mir fast zu schnell, ich schaute in der Nacht alle 30 Minuten auf die Uhr, konnte kaum schlafen und wartete nur darauf, bis es endlich Morgen wurde und bald losging.

Bereits seit Monaten trieb mich ein grosses Ziel für dieses Rennen an, welches ich aber nicht in den Mund nehmen wollte, um wohlmöglich als überheblich abgestempelt zu werden. Aber jetzt kann ich es ja sagen: während die allermeisten bei diesem Rennen einfach nur irgendwie ins Ziel kommen wollen, sich nur ganz wenige einen Podestplatz zutrauen und weniger als eine Hand voll Fahrer den Sieg anpeilen, hatte ich eine andere Vision. Ich wollte nicht nur meinen fünften Erfolg feiern, ich wollte vor allem als Erster unter sechs Stunden von Verbier nach Grimentz kommen. Bereits in den zwei letzten Jahren waren wir nahe dran an dieser magischen Grenze, doch vor zwei Jahren war mein Respekt vor Sauser zu gross, um von Beginn weg an der Bestzeit zu arbeiten und im letzten Jahr war ich schlicht nicht in der Verfassung, in erster Linie mental, um alles daran zu setzen. Doch dieses Jahr wollte ich es versuchen. Meine Vorbereitung lief bestens, die Bedingungen am Renntag waren optimal und somit alle Voraussetzungen auf grün.

Als grösster Herausforderer bei meinem Unterfangen stellte sich mir der Parcours in die Quere. In Sachen Tagessieg hatte ich drei Fahrer auf der Liste. Karl Platt, das russische Blut in seinen Adern, sein Wille für den Mythos Grand Raid zu leiden und seine Ruhe und Erfahrung machen ihn wie geschaffen für dieses Rennen. Alban Lakata, das Kraftpaket aus Österreich und zweifacher Weltmeister hat nahezu alles gewonnen was es zu gewinnen gibt, nur der Grand Raid fehlt ihm noch in seiner Vitrine und das will er unbedingt noch nachholen. Lukas Flückiger, obwohl Cross Country Fahrer und zum ersten Mal am Start, wurde er von Alex Moos bestens mit den Eigenschaftendes Grand Raids vertraut gemacht und ich war mir sicher, dass er mir von Beginn weg am Hinterrad hängen wird. Ich schaute aber in erster Linie auf mich selber und wusste, dass ich von Beginn weg das Heft selber in die Hand nehmen muss, will ich mein Ziel erreichen.

Nach der ersten Viertelstunde wollte ich je nach Befinden entscheiden, ob ich auf Rekordzeit oder „nur“ auf Sieg fahre. Meine Beine waren super und daher beschloss ich, mein Vorhaben durchzuziehen. Über den ersten Gipfel, den Croix de Coeur, zog ich voll drüber und in der schnellen Abfahrt nach La Tzoumaz konnte ich mich gemeinsam mit meinen Teamkollegen Platt und Stiebi sowie Flückiger absetzen. Es lief alles nach Plan, Lakata war abgehängt und somit war klar, dass in unserer Gruppe alle daran interessiert sein werden, das Tempo hoch zu halten. In den folgenden kurzen Rampen musste Stiebi leider abreissen lassen, während Fanger gerade noch so zu uns aufschliessen konnte. In den flachen Abschnitten Richtung Nendaz blieb dann der grösste Teil der Führungsarbeit aber doch an mir hängen.

In Nendaz kam ich dann auch als Erster in die kurze Abfahrt über die Skipiste ins Dorf und dabei erhielt mein Rennen einen Dämpfer. Auf den Treppen am Ende der Abfahrt sah ich, dass mir die Kette vorne vom grossen Kettenblatt fiel. Ich liess mich nicht aus der Ruhe bringen, brachte die letzte Treppe auch noch hinter mich und schaute mir das Ganze dann nochmals an. Die Kette war tatsächlich ab dem Kettenblatt gesprungen und hat sich dabei auch noch verknotet. Langsam und vorsichtig brachte ich die Kette mit vor- und rückwärts treten zurück auf das Kettenblatt und weiter ging es. Doch sofort merkte ich, dass sich die Kette bei diesem Zwischenfall massiv verbogen hatte. Bei jeder Pedalumdrehung sprang die Kette, sobald ich etwas Druck auf das Pedal gab.

Vor mir lagen noch über 90 Kilometer und 4‘000 Höhenmeter, niemals hätte ich es so bis ins Ziel schaffen können. Zu meinem Glück hatten wir exakt 400 Meter später eine Verpflegungsstelle geplant und ich liess mir dabei eine neue Kette montieren. Kurz zweifelte ich, doch bevor ich mit zweieinhalb Minuten Rückstand das Rennen an sechster Position wieder aufnahm, sagte ich mir: jetzt erst recht! Ich wusste, je schneller ich zurück nach vorne fahre, desto mehr besteht dabei die Gefahr, dass ich überziehe und später im Rennen dafür büssen werde. Ich wusste aber auch, dass sie vorne ihre Chance wittern und sicher nicht locker lassen werden, solange ich nicht wieder dran bin. Bis Les Collons, also innert 20 Kilometern, wollte ich zurück sein an der Spitze. Ich schaffte es und als ich wieder vorne ankam, fiel das Tempo dann kurzzeitig komplett zusammen, womit auch Lakata und Stiebi nochmals nach vorne kamen.
Zu sechst nahmen wir somit den Aufstieg zum Mandelon in Angriff. Normalerweise beginnt es jetzt zu knistern, eine Vorentscheidung bahnt sich immer hier, bereits 50 Kilometer vor dem Ziel, an und ich bin immer sehr nervös in diesem Abschnitt. Nicht so gestern, mein Wiederanschluss gab mir Zuversicht, dass ich wirklich der Stärkste bin, gleichzeitig hatte aber auch kleine Bedenken, dass ich bisher, insbesondere durch meine Aufholjagd, schon deutlich mehr Kräfte als meine Konkurrenten und möglicherweise eben zu viele verschleudert habe. Im Prinzip bin ich die ersten 55 Kilometer komplett alleine gefahren, zuerst an der Spitze, danach bis zum Wiederanschluss. Ich liess mir somit noch etwas Zeit, hielt mich zurück und verpflegte mich gut. 300 Höhenmeter vor Ende des Anstieges platzierte ich dann aber meine Attacke und legte alles hinein, was ich hatte, jetzt oder nie! Schnell war ich 30 Sekunden weg, doch ab jetzt hiess es durchbeissen und das Tempo hoch halten. Ich den Mandelon hoch, als wäre oben die Zielankunft!

Erst die letzten zwei Minuten vor dem verblockten Höhenweg nahm ich etwas raus um nochmals Luft zu holen und die Konzentration wieder hoch zu fahren, um eine saubere Linie zu erwischen. Dies gelang mir dann so gut wie noch nie in diesem Abschnitt und auch die lange Abfahrt nach Evolène erwischte ich gut. Kurz vor Ende der Abfahrt sah ich Flückiger nur wenig hinter mir, sonst war niemand mehr zu sehen. Ich wartete kurz auf ihn und wollte zu zweit weiterfahren. Doch er hatte zu viel Respekt vor dem nahenden Monsteranstieg zum Pas de Lona und ich sofort wieder alleine.

Somit stellte ich meine Taktik umgehend um und wollte das Ding jetzt alleine durchziehen. Es lagen zwar noch fast 2‘000 Höhenmeter vor mir und es galt haushälterisch mit den Kräften umzugehen, doch ich wusste, dass ich meinen Verfolgern entscheidend Wind aus den Segeln nehmen konnte, wenn ich jetzt auf kurze Distanz viel Zeit herausfahren werde. Es war mir klar, dass ich auf dem Marsch zum Pas de Lona mit dieser Taktik mehr leiden werde als wenn ich jetzt etwas langsamer fahren würde, doch der Pas de Lona bringt ohnehin immer grosses Leiden mit sich, darum kümmerte mich dies nicht zu diesem Zeitpunkt.

Bis Eison hatte ich etwas über zwei Minuten Vorsprung, bis L’A Vieille sogar über vier! Ich weiss nicht, ob ich diesen Anstieg schon mal so schnell bewältigt habe. Jetzt ging es in den Trail, mittlerweile begann es zu regnen und es wurde langsam kühler. Ich fand auch hier eine gute Linie und kam ohne Probleme bis zur Laufpassage. Doch ab jetzt litt ich brutal. Zwar legte ich keinen einzigen Stopp bis auf den Pas de Lona ein, doch ich hatte das Gefühl, noch nie so langsam da hoch zu kraxeln wie gestern. Erstaunlicherweise stellte ich im Ziel fest, dass ich auch von L’A Vieille bis zum Pas de Lona der Schnellste war. Allen Anderen ging es also noch schlechter als mir.

Jetzt war also das Gröbste geschafft. Ich schwang mich auf 2‘800 Metern mit viereinhalb Minuten Vorsprung wieder auf das Bike und schaute kurz auf die Uhr: 12:01. Ich konnte es kaum glauben, trotz dem Kettenwechsel und der Bummelfahrt nach meinem Wiederanschluss blieben mir 29 Minuten Zeit um die magische Grenze zu knacken. Dies sollte reichen, doch irgendwie war ich ab jetzt nicht mehr 100% bei Sinnen. Der Mix aus Anstrengung, dünner Höhenluft, dem Regen und der Kälte machte mir extrem zu schaffen. In der kurzen Abfahrt vom Pas de Lona sah ich nicht mehr ganz klar, zwischenzeitlich wusste ich gar nicht mehr wo ich überhaupt bin. Den letzten Gegenanstieg fuhr ich nochmals so schnell hoch wie ich konnte und oben streckte ich erstmals die Siegesfaust in den Himmel.

Sofort wieder konzentrieren, nur keine Fehler, nur kein Sturz, nur kein Defekt sagte ich mir immer wieder. Ich wollte ab jetzt nur noch sicher ins Ziel kommen. Die Zeit war mir ab jetzt egal, denn ich merkte, dass ich mein Limit überschritten hatte und diese lange Abfahrt heute zu gefährlich ist für mich, wenn ich da zu viel riskiere. Bis zur Staumauer kam ich gut und sicher durch, doch direkt danach passierte es. Ich hatte eiskalte Hände, sah nicht mehr ganz klar und geriet mit hoher Geschwindigkeit in eine Spurrille. Zack und schon lag ich am Boden. Ich fluchte innerlich, hätte mich am liebsten auf den Mond geschossen und ärgerte mich unheimlich. Da liege ich am Grand Raid sechs Kilometer vor dem Ziel mit grossem Vorsprung in Führung, muss absolut kein Risiko mehr eingehen und versuchte dies auch zu vermeiden und dann passiert es doch. Das Knie blutete, die Hüfte schmerzte, doch was mich wirklich beschäftigte: hoffentlich ist meinem Bike nichts passiert.

Doch es sah gar nicht gut aus! Die komplette hintere Bremse hat es vom Lenker gerissen, den Schalthebel ebenso. Dass der Lenker nicht gebrochen war, war direkt ein Wunder. Ich dachte nach den Kettenproblemen in Nendaz zum zweiten Mal, dass es jetzt vorbei ist. Doch das durfte einfach nicht sein. Ich wäre ab hier auch noch bis ins Ziel gerannt, nach dem ganzen Weg wollte ich mir diesen Sieg so kurz vor der Erlösung nicht mehr nehmen lassen. Ich versuchte zurück aufs Bike zu steigen um zu schauen ob es noch fahrbar war. Ja es ging, allerdings hatte ich nur noch die vordere Bremse zur Verfügung und konnte nicht mehr schalten. Wie gesagt, es regnete und jeder der diese Abfahrt kennt, weiss wie gefährlich für mich diese letzten Kilometer waren. Ich musste volles Risiko nehmen, auf keinen Fall wollte ich wenige Meter vor dem Ziel noch überholt werden und hatte keine Ahnung was hinter mir los ist. Also fuhr ich so schnell es ging hinunter! Trotz des Sturzes und des Verlustes der Hinterbremse verlor ich auf diesem letzten Abschnitt ab der Staumauer nur 1:16 auf Flückiger, unglaublich.

Erst als ich ins Zelt im Ziel fuhr, begann ich es zu glauben, ich hatte es geschafft. SIEG! Sofort ging mein Blick auf die Uhr und da sah ich noch unglaublicheres: neuer Streckenrekord, unter sechs Stunden, 5:58! Einmal mehr brannten bei mir im Ziel in Grimentz alle Sicherungen durch und ich freute mich so extrem wie sonst nirgends über meine Leistung. Anders als nach den zwei letzten Rennen heisst es nun nicht kurz, sondern ausgiebig geniessen und alles was noch kommt in dieser Saison einfach so zu nehmen wie es kommt. Mit dem gestrigen Tag habe ich mein letztes ganz grosses Ziel in diesem Jahr erreicht. Dafür musste ich aber mehr als 100% geben, über mich hinaus wachsen, wie ich es nur am Grand Raid kann und einiges an Haut auf der Strecke liegen lassen. Doch es hat sich auf jeden Fall gelohnt, ich werde diesen Tag nie vergessen und noch lange Kraft und Motivation daraus schöpfen können.

Danke an alle, die mich gestern unterstützt und sich für diesen Rekord eingesetzt haben!

(Fotos: Etienne Bornet und sportograf)

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